Eva Maria Gintsberg im Gespräch mit Bernd Schuchter
Mit der Erzählung „Die Reise“ fasst sie die Sprachlosigkeit einer Generation in Worte. Ein Gespräch mit Bernd Schuchter
Die Tiroler Schauspielerin Eva Maria Gintsberg legt mit „Die Reise“ (editionhimmel) ein fein ziseliertes literarisches Debüt vor und verwebt dabei mehrere Frauenschicksale zu einem dichten, fast magisch anmutenden Schicksalsgeflecht. Es geht um Schuld, Missbrauch, Todesangst und die allgemeine Sprachlosigkeit, insbesondere der Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Das Schweigen, die nicht bewältigten Verletzungen, aber auch die Gefühlsarmut, so die Autorin, sollen aufgebrochen und in Worte gefasst werden.
Du arbeitest seit Jahrzehnten erfolgreich als Schauspielerin – wie bist du auf die Idee gekommen, nun selbst zu schreiben?
Ich wollte bereits als junge Frau Literaturwissenschaft studieren, aber durch Umwege kam es nicht dazu und ich wurde Schauspielerin. Vor ein paar Jahren habe ich das dann nachgeholt und Germanistik studiert. Über das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten kam ich schließlich zum literarischen Schreiben.
Wie kann man sich das vorstellen? Die Universität ist derzeit ja nicht gerade bekannt dafür, Autoren hervorzubringen …
Das stimmt in jedem Fall. Meine Seminararbeiten waren den Lehrenden dann auch oft zu literarisch (lacht). Aber es war tatsächlich so: Erst über das regelmäßige Schreiben habe ich gemerkt, dass es mir immer wichtiger wird. Ich habe gemerkt, da bin ich daheim, im Schreiben bin ich endlich angekommen.
Eine Sehnsucht, die auch deine Figuren in gewisser Weise umtreibt. Sie alle irren ein wenig orientierungslos in einem kleinen Boot auf dem unüberschaubaren Ozean des Schicksals, sind zahlreichen Stürmen ausgesetzt.
So ist wohl das Leben: Es scheint manchmal zufällig zu sein, manchmal nicht. Es ist die Erfahrung im Leben, dass alles mit allem zusammenhängt. Einiges bleibt in dieser Reise bewusst offen. Es schieben sich die verschiedenen Ebenen der unterschiedlichen Biografien mehr und mehr ineinander. Indem man sehr nahe an den Figuren dranbleibt, kann man den Lesenden mitnehmen und ihn wie einen stillen Beobachter in die Geschichte hineinziehen.
Das hat eine fast magische Komponente, war mein Eindruck. Vor allem auch die raffinierte Erzählweise, da du eine zentrale Stelle der Reise – eine Zugfahrt – aus der Perspektive mehrerer Figuren erzählst. Das öffnet meiner Meinung nach die Wahrnehmung für die Vielfältigkeit der Welt.
Das ist eine gute Beschreibung. Es geht in meinem Schreiben um Wahrnehmung, um die Körperlichkeit der Sprache, auch um eine assoziative Beschreibung von Wirklichkeit, es geht um Gerüche, Eindrücke, Kleinigkeiten.
Dabei werden vornehmlich schwere Themen verhandelt, es geht um Selbstbeschädigungen und das Schweigen. Wie aktuell empfindest du dieses Leiden an der Sprachlosigkeit der Kinder von Eltern der Kriegsgeneration?
Leider sehr aktuell. Geredet wird zwar sehr viel, aber es bleibt häufig an der Oberfläche. Wir leben heute in einer Art von Erwartungsgesellschaft, in der wir uns mit unserem ständigen Konsum selbst beschädigen, weil diese Erwartungen natürlich nie und nimmer erfüllt werden können. Mehr Langsamkeit, mehr Innehalten und mehr Zuhören wären da wünschenswert.
Bleibt die Frage nach den literarischen Vorbildern; einige Autorinnen und Autoren blinzeln durch die Zeilen deines Buches.
Vor allem Cees Nooteboom und seine Kunst, die verschiedenen Zeiten und Ebenen in seinen Geschichten miteinander zu verschränken. Annie Ernaux ist mir wichtig, und natürlich Selma Merbaum. Es ist erstaunlich, welche Kraft in einem so zarten Alter im Körper dieser Schriftstellerin schlummerte.
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Erschienen in:
Wagner zweimalig, No.10, 2020
Magazin der Buchhandlung Wagner’sche Innsbruck
Eva Maria Gintsberg
1966 in St. Johann in Tirol geboren. Schauspielausbildung von 1986 – 1989. Seit 1989 Engagements an Theatern in Österreich, Südtirol, im Süddeutschen Raum und in der Schweiz. Zahlreiche Film- und Fernsehrollen. Seit 2009 ist sie als Vorleserin mit eigenen literarisch-musikalischen Programmen unterwegs. 2012 – 2018 Studium der Germanistik. Ihre literarischen Arbeiten umfassen Lyrik, Prosa, Drama. Sie lebt und arbeitet in Scheffau am Wilden Kaiser in Tirol.