Bäng #005

Eva Maria Gintsberg

schichtgedichte

Lyrik

du dramhapperter mensch /
grün wie absinth / der meine
bist a bissl dramhappert /
sinne stört und stöbert
happerts bei deine dram /
im gedankenmisthaufen /
dramma dam mia nimma /
der vogelfrei ein teures postulat
du dramhapperts depperl /

Eva Maria Gintsberg wächst in einem kleinen Dorf in Tirol auf. Viele Gäste kommen zur Sommerfrische. Schön nach der Schrift sprechen gehört zur alltäglichen Übung. Schon als Kind wechselt sie, ohne viel darüber nachzudenken, zwischen Dialekt und Hochsprache.

In diesem Gedichtband werden diese beiden ineinandergeschichtet und so zu einem Sprach- und (noch besser) Sprechspiel. Man springt von Zeile zu Zeile (oder auch nicht), hört hinein, schaug, wås des mit oam tuat, und hinterfragt auf diese Weise ganz beiläufig Wörter, Gewohnheiten und Lebenswirklichkeiten.

Nach der Erzählung »Die Reise« und dem Roman »Herr Klein«, ist »schichtgedichte« der erste Lyrikband von Eva Maria Gintsberg. Unüberhörbar auch hier das Hintergrundrauschen der eigenen Herkunft, das sich gleichermaßen leichtfüßig wie tiefsinnig auflöst in ein für die Autorin typisches, rhythmisches und musikalisches Spiel mit der Sprache. — Als Ergänzung zum Band erscheint auch eine von der Autorin gelesene Hörbuchfassung. 

»Es gelingt Eva Maria Gintsberg mühelos und eindringlich, ihr heimatliches Tiroler Idiom mit der universell verständlichen Hochsprache zu verweben und in diesem Wechselspiel faszi-nierende lyrische Dialoge und Klangbilder zu gestalten. «

Hanspeter Müller-Drossaart

Eva Maria Gintsberg:
schichtgedichte
Lyrik
ISBN 978-3-903667-04-4
88 Seiten, Hardcover
€ 19,—
edition himmel bei Limbus

Eva Maria Gintsberg
Schauspiel­aus­bildung von 1986 – 1989. Seit 1989 Engagements an Theatern in Österreich, Südtirol, im Süddeutschen Raum und in der Schweiz. Zahlreiche Film- und Fernsehrollen. Seit 2009 ist sie als Vorleserin mit eigenen literarisch-musikalischen Programmen unterwegs. 2020 erschien ihre Erzählung »Die Reise«, 2021 der erste Roman »Herr Klein«, 2023 das Theaterstück „Am Ende einer Nacht“.

Rezensionen

Helmuth Schönauer

Eva Maria Gintsberg lassen diese archaischen Wortspuren der Kindheit keine Ruhe, wenn sie als Schauspielerin und Autorin den Wurzeln des Sprechens nachgeht. […] Im Mittelpunkt der Gedichte stehen freilich scheinbar ausgestorbene Wörter, die von der Gebrauchssprache konserviert und eingeschlossen werden wie die berühmten Insekten im Bernstein.

Nicht umsonst rufen Piloten, wenn sie abstürzen, noch eine Wortfügung aus ferner Kindheit in den Voice-Recorder, ehe Stille dem harten Aufschlag folgt. Mit zunehmendem Alter berichten Sprachanwender verschiedenster Klangfarben davon, dass ihnen in Augenblicken der Überraschung, der Freude und des Entsetzen Partikel aus der Kindheit in den Sinn kommen. Eva Maria Gintsberg lassen diese archaischen Wortspuren der Kindheit keine Ruhe, wenn sie als Schauspielerin und Autorin den Wurzeln des Sprechens nachgeht. Ein elementares Erlebnis als Kind in einem Tiroler Nachkriegsdorf ist das Auftauchen einer neuen Sprache, wenn „die Frembden kommen“. Diese Gebrauchssprache des Tourismus überlagert allmählich die Mundart, die bislang alles abdecken konnte, was für Hausrat, Arbeit und Feiertag notwendig gewesen ist.

„schichtgedichte“ berichten von diesen Überlagerungen der Sprache, die sich wie geographische Schichten ineinander fressen und aufwölben, die sich als sozio-kulturelle Milieus von einander abgrenzen, oder schließlich in der Arbeitswelt im Schichtbetrieb als Tag und Nacht auftauchen. Im Mittelpunkt der Gedichte stehen freilich scheinbar ausgestorbene Wörter, die von der Gebrauchssprache konserviert und eingeschlossen werden wie die berühmten Insekten im Bernstein. Die gängige Methode, Wörtern aus vergangenen Zeiten ein Mahnmal zu setzen, verwendet Mundart in lyrisch reduzierter Form, um einen emotionalen Flash zu entladen. Dabei werden einzelne Begriffe wie aus einem Lexikon in den Mittelpunkt gestellt, besungen und anschließend meist auf der gegenüberliegenden Buchseite als Schrift-deutsche Übersetzung angeboten.

In den „schichtgedichten“ hingegen bauen sich die Gedichte als lyrische Zapfen vor den Lese- Augen auf, die Texte verlaufen scheinbar unauffällig über die Seiten, freilich ist zwischendurch eine Fügung blass gesetzt, als behutsamer Fleck, den die Druckerschwärze nur vorsichtig andeutet. In diesen zurückgenommen Feldern sitzen dann diese geheimnisvollen Wörter, wie sie in der Unterländer Mundart Tirols noch phasenweise als aktiver, zumindest aber passiver Wortschatz gebräuchlich sind. Die Begriffe „bloßhaxad“ für barfuß, oder „kraffi“ für Gerümpel werden vorsichtshalber als Fußnote entschlüsselt, aber diese heimeligen Wörter sind so geschmeidig in die Gedichte eingearbeitet, dass sie sich von selbst erklären.

Der Gedichtband insgesamt ist in zwei Hälften aufgeschnitten, vorne heißt es „heimat:“ (3), hinten nennt es sich „liebe:“ (45). Naturgemäß sind die beiden Teile als Ganzes zu lesen, woraus sich verschämt die Heimatliebe ergibt; aber auch die Umdrehung in Liebe-Heimat ergibt Sinn. Diese Hauptmotiv-Kette umringt wie ein Fotoalbum die Stimmungen von Abend, Sommer, Arbeit, Spiel oder Muse, das lyrische Ich blättert in einem „Wörteralbum“ und evoziert diese Stimmungen, die einen ein Leben lang begleiten, und die manchmal als Wort-Ohrwurm einschießen.

Beim Kartenspiel dieser Gegend wird oft „ein Schöneres“ ausgerufen, dahinter steckt der verschmitzte Glaube, dass man etwas zum Besseren bewenden könne, wenn man es nur hartnäckig einfordert. Die philosophisch einwandfreie Beschreibung für einen günstigen Augenblick heißt „boisingweis“ (82), was mit „manchmal“ oder „zeitweilig“ übersetzt ist. Wer den Ausdruck freilich als Kind selbst angewendet hat, so wie der Rezensent dieser Gedichte, empfindet das Jähe, Schicksalshafte, das „bosingwais“ umschreibt. Mag sein, dass es in der Erinnerung oft bei Todkranken zur Sprache gekommen ist, denen es „boisingwais“ besser gegeangen ist, ehe sie dann umso verlässlicher gestorben sind. – Nicht umsonst ist das letzte Gedicht mit diesem Ausdruck überschrieben, darin geht es um das unerwartet Spontane, für das man sich rüstet, wenn man die Welt dreimal umarmt, jemandem einen Bären aufbindet und dann „Himmel und Hölle“ spielt als Highlight der Kindheit.

Wie bei Schichten üblich folgt auf das Helle das Dunkle, Himmel und Hölle gleichzeitig hinzukriegen, ist eine hohe Kunst. So kramt in der Erinnerung das lyrische Ich die eigene Vergangenheit als Schuldschein aus und versucht der Bürde der Eltern gerecht zu werden. „ich vertreibe den krieg meines vaters / den krieg meiner mutter kenne ich nicht“ (47). Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte bricht sich eine Bahn in die eigene Sprache. „händeringend sitze ich da / warte auf die sprache / die uns verbindet“. Zwischen den Versen, die sich gegenseitig in Schach halten, blitzt dann diese winzige Fügung auf, die alles erklärt: „ois umasinst – alles umsonst“.

Die volle Entfaltung erfahren die Gedichte freilich erst, wenn man Eva Maria Gintsberg als Stimme hört, wie sie sich Schicht um Schicht an der Erinnerung abarbeitet, um sie im gleichen Atemzug für die Gegenwart aufzubauen. Über einen QR-Code am Ende des Buches gelangt man direkt ins Hörbuch.
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Johanna Peimpolt, Literatur Tirol

Wenn „ein geruch sich ausbreitet / der eine / der lang vermisste“, dann findet so manche:r sich in Eva Maria Gintsbergs Lyrik wieder. Ein Werk der Vielsprachigkeit, Dialekt geschichtet auf Standardsprache, lyrische Antiheimatliteratur, die die Idylle eines Aufwachsens am Land einfängt und zugleich verborgene Abgründe und verlorene Zeiten enthüllt – das ist schichtgedichte.

Wenn „ein geruch sich ausbreitet / der eine / der lang vermisste“, dann findet so manche:r sich in Eva Maria Gintsbergs Lyrik wieder. Ein Werk der Vielsprachigkeit, Dialekt geschichtet auf Standardsprache, lyrische Antiheimatliteratur, die die Idylle eines Aufwachsens am Land einfängt und zugleich verborgene Abgründe und verlorene Zeiten enthüllt – das ist schichtgedichte.

Auf eine nostalgisch anmutende, atmosphärische Art und Weise beschreibt Gintsberg im ersten Teil des Werks das facettenreiche Leben und Erwachsenwerden abseits der Stadt. Unbeschwerte Zeiten, „die haare zerzaust“ – ein Exkurs in die Kindheit, eine Reise in die Heimat. „Dahoam“ hat viele Facetten, genauso wie Gintsbergs Sprache. In müheloser Art und Weise kombiniert sie die deutsche Standardsprache mit dem Dialekt des Tiroler Unterlands. Eine Kunst, die nicht nur einen einzigartigen Rhythmus hervorbringt, sondern sich auch im Sprachbild von schichtgedichte ausdrückt. Blasses Grau als Farbe für die Sprache der Familie, für die „längst vergessenen wörter“. Manchmal fließen Dialekt und Standardsprache ergänzend ineinander und manchmal wirken sie ambivalent, aber am Ende ist es wie bei einer mehrschichtigen Torte – die Geschmäcker ergeben ein feines Kompositum. Gintsberg spielt in ihrer Lyrik geschickt mit Lauten, Farben, Klängen und Artikulationsarten. Sie fängt das ländliche Milieu mit all seinen Aspekten gekonnt ein und bringt immer wieder einen Bruch in die kindlich-idealisiert dargestellte Welt.

„endlich hinter den horizont blicken / alles nur schein / das sein ist zuhause geblieben / was damma iatz? Bleiben und gehen / sprechen und schweigen / was man so tut / wenn man fremd ist / sich fremd fühlt //“

Irgendwann wird die rosarote Brille der Kindheit mit einem Wisch vom Gesicht geschlagen und man blickt als Erwachsener zurück auf die Vergangenheit, auf den „doifwegä“ (kleiner Waldweg), der zur „Schotterstraße“ geworden ist. Auch im zweiten Teil des Werks, der mit „liebe“ betitelt ist, wird der thematische Rahmen fortgeführt, wobei der Fokus zunehmend auch auf das Sterben gerichtet wird. Das Sterben der Erinnerung, der Heimat, der Liebe, der Sprache. Die Reflexion über Sprache zieht sich hierbei über das gesamte Werk und es wird eine Metareferenz sichtbar. „Händeringend sitze ich da / warte auf die sprache / die uns verbindet […] verschoben in die letzten windungen des hirns“. Über das „Absperren“ des die Familie verbindenden Dialekts wird der Weg der Entfremdung von der Heimat sichtbar. Doch mit dem Gedanken an den Tod kommt der Wunsch nach vergangenen Zeiten. Wer sich als Nichtdialektsprecher:in mit dem Tirolerischen abmüht, kann auf das Hörbuch-Feature zurückgreifen, da das Nachlesen bestimmter Wörter in der Fußzeile den Rhythmus von Gintsbergs Lyrik stören kann.

Antiheimatliterarische Tendenzen verlaufen durch das gesamte Werk und drücken sich durch die Kritik an der verklärten Euphemisierung ländlicher Idylle aus. Sexuelles Erwachen und Liebe münden in Nötigung und verfestigte Rollenbilder. Manchmal ist der Teufel als Engel getarnt. Und doch, die Stimmung und die Gerüche der Kindheit werden einen jeden und eine jede auf ihrem Weg durch das Leben begleiten. Eine Verbindung von schaurig Schönem und leichtfertig Glorifiziertem, das sich in den Sprachwegen der Kindheit niederschlägt.
Gintsberg schafft mit schichtgedichte eine vielstimmige Lyrik, in die sie auf leichtfüßige Art und Weise den Dialekt ihrer eigenen Heimat miteinfließen lässt. Die Sprachvariation ist es, die das Werk gleichzeitig heimatverliebt wie auch heimatkritisch macht, vor allem jedoch macht sie das Werk einzigartig.

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Alexander Kluy, Buchrezension in Literatur und Kritik

Stringent durchkomponiert und ausnehmend klug arrangiert ist Eva Maria Gintsbergs neuer Gedichtband schichtgedichte, der auch beim Wettbewerb um Schönste Bücher einen vorderen, um nicht zu sagen: den ersten Rang einnehmen dürfte.

Stringent durchkomponiert und ausnehmend klug arrangiert ist Eva Maria Gintsbergs neuer Gedichtband schichtgedichte, der auch beim Wettbewerb um Schönste Bücher einen vorderen, um nicht zu sagen: den ersten Rang einnehmen dürfte. Typografisch durchdacht unterschiedliche Graustufen einsetzend, sorgfältig korrekturgelesen, schön gedruckt auf schönes Papier, der Umschlag mit Lackschichten versehen, die auf das Sinnigste den Titel unterstreichen – voilà, einer der feinsten Gedichtbände aus heimischen Landen der letzten Zeit!

Die Tiroler Schauspielerin und Rezitatorin, die, eine erstaunliche Volte, via Germanistikstudium endgültig zum eigenen Schreiben gelangte und jüngst auch als Dramatikerin debütierte, erweist sich als sensible, ja subtile Lyrikerin, sprachlich fein wie kunstvoll tiefwurzelnd in vielen Schichten. Das ist ganz buchstäblich zu verstehen – und erst recht zu hören, versucht man sich am lauten Lesen –, denn die Schichten, die der Titel verheißt, sind Standarddeutsch und Dialekt: „bist aufn hund kemma/ vater / mutter / kind / ene / mene / meg / was schaugstn so scheps„.

Krustenbraten, Brutalität, Enge und Lieblosigkeit und „gedankenmisthaufen“ (Gintsberg) hier, Wärme, Hoffnungsgräben, Sorglosigkeit und Liebeswörter dort: Das ist ein konzis konzentrierter All-Tiroler Poesiekosmos fern aller Idylle, mit Widerhaken, mit Weh. Dafür ist das lastende Gewicht zu stark. Gintsberg erhellt Sprachschichten, die dicht sind, körperlich, dabei leichtfüßig, ja schwebend und anmutig, dunkel und hell in einem. Diese Schichten sind auch Zeit-Schichten, Flöze der Vergangenheit: „verlassene orte bebildern den kopf / ein drachen steigt über dich hinweg / dein kind hängt am ende der schnur / fragend zerreißt es den schmerz / in der brust / das papier ist so dünn / dass es bricht“. Ihre Poeme sind durchwoben von eindringlichen starken Bildern: „in den endlos / warmen sommertagen / mit der langeweile / arm in arm um die / wette laufen“.

Buchrezension in Literatur und Kritik September 2024 in „Sätze und Verse nah am Aphorismus“ von Alexander Kluy

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Eva Maria Gintsberg: Schichtgedichte
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